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Unterrichtsqualität und mathematisches Verständnis in verschiedenen Unterrichtskulturen: Eine quasi-experimentelle, videogestützte Studie im deutsch-schweizerischen Vergleich
(2000 - 2006)

Projektleitung: Prof. Dr. Eckhard Klieme Projekt-Homepage
Ausführlichere Darstellung
Mitarbeiter: Dr. Frank Lipowsky
Dipl.-Psych. Katrin Rakoczy
Dr. Nadja Ratzka
Literaturübersicht

Die Studie »Unterrichtsqualität und mathematisches Verständnis in verschiedenen Unterrichtskulturen« untersucht den Mathematikunterricht in Deutschland und der Schweiz. Sie wird gemeinsam vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung und der Universität Zürich durchgeführt.

Das Projekt geht u.a. der Frage nach, wie sich die Leistungsunterschiede deutscher und Schweizer Schülerinnen und Schüler in den Schulleistungsstudien TIMSS und PISA erklären lassen. In einer ersten Phase des Projekts wurde eine repräsentative Lehrerbefragung durchgeführt (vgl. Diedrich, Thussbas & Klieme 2002; Pauli & Reusser 2003; Lipowsky et al. 2003), um Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den unterrichts-, selbst- und schulumweltbezogenen Kognitionen der Lehrkräfte zu ermitteln und Kontextbedingungen von Unterricht in beiden Ländern zu erfassen.

Im Schuljahr 2002/2003 wurden jeweils 20 Schulklassen in Deutschland und der Schweiz in ihrem Mathematikunterricht begleitet. Hierzu wurden in jeder dieser Klassen umfassende Videoaufzeichnungen angefertigt. Um Aussagen über die Bedeutung des Unterrichts machen zu können, wurden relevante Eingangsvoraussetzungen und Kontextvariablen kontrollierend einbezogen.

Ein besonderes Interesse des Projekts gilt den differenziellen Effekten des Unterrichts auf Schülerinnen und Schülern mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen. Derzeit werden die Ergebnisse der Videostudie ausgewertet und im Rahmen einer videogestützten und internetbasierten Lehrerfortbildung in die Praxis transferiert (s.u.).

Ziele des Projekts:

  • Entwicklung eines fachbezogenen spezifizierten Konzepts von Unterrichtsqualität
  • Analyse der Wirksamkeit methodisch didaktischer Konzeptionen unter differenzieller Perspektive
  • Verbindung mikrogenetisch und längsschnittlicher Untersuchungsperspektiven
  • Beitrag zur Erklärung der höheren Leistungen schweizerischer Schüler/innen in Mathematik

Stichprobe:

Die Stichprobe besteht aus 20 deutschen Klassen der 9. Jahrgangsstufe und 20 Schweizer Klassen der 8. Jahrgangsstufe

Design:

Das Untersuchungsdesign sieht die Verbindung einer längsschnittlichen und einer mikrogenetischen Perspektive vor. Der Längsschnitt erlaubt Aussagen über die Leistungs- und Motivationsentwicklung der Schülerinnen und Schüler über ein gesamtes Schuljahr hinweg. Die mikrogenetische Perspektive auf der Basis von Videoaufnahmen, Fragebogendaten und Leistungstests ermöglicht zusätzlich, die Entwicklung innerhalb einer Unterrichtseinheit differenzierter zu beleuchten. Die Studie ist methodenintegrativ angelegt, indem sie Fragebogendaten, Leistungstests, Interviews und Videodaten miteinander verknüpft und aufeinander bezieht. Um eine Generalisierung von Aussagen über eine Klasse zu ermöglichen und Vergleichbarkeit zwischen den Klassen herzustellen, wurde eine Standardisierung der Unterrichtsinhalte vorgenommen („Einführung in die Satzgruppe des Pythagoras“ und „Umgang mit Textaufgaben“). Das Design sieht zudem die multidimensionale und multikriteriale Erfassung von Prozess- und Zieldimensionen von Unterrichtsqualität vor. Im Längsschnitt wurden sowohl unterschiedliche mathematische Kompetenzdimensionen als auch motivationale Konstrukte erfasst.

Bisherige Ergebnisse:

In der ersten zweijährigen Projektphase wurde eine repräsentative schriftliche Lehrerbefragung von 262 Mathematiklehrkräften in Deutschland und der Schweiz durchgeführt. Sie überprüfte das von Shulman und Bromme vorgeschlagene Modell des professionellen Wissens von Lehrern und ging der Frage nach, ob sich deutsche und Schweizer Mathematiklehrkräfte in unterrichts- und selbstbezogenen Kognitionen sowie in der Wahrnehmung ihrer Schulumwelt unterscheiden. Es wurde erwartet, dass deutsche Lehrkräfte in unterrichtsbezogenen Kognitionen traditionellere Orientierungen zeigen als schweizerische Lehrkräfte, d.h. über eher rezeptive als konstruktivis-tische Vorstellungen des Lernens verfügen und eher eine kleinschrittig, fragend-entwickelnde Methode des Unterrichts bevorzugen. Entgegen der Erwartungen zeigte sich jedoch, dass die Unterschiede in den unterrichtsbezogenen Kognitionen nur schwach ausgeprägt waren und teilweise sogar erwartungswidrig ausfielen. Deutlicher waren hingegen die Unterschiede in den selbst- und schulumweltbezogenen Kognitionen. Schweizer Mathematiklehrkräfte schätzen ihre pädagogische Handlungskompetenz höher ein als die deutschen Lehrkräfte und beurteilen damit ihre Ressourcen zur Bewältigung schulischer Anforderungen positiver. Gleichzeitig nehmen sie ihre Schulumwelt, zumindest partiell, deutlich positiver wahr. So berichten die Schweizer Mathematiklehrkräfte von einem deutlich ausgeprägteren Interesse von Schülerinnen und Schülern sowie von Eltern (vgl. Lipowsky et al. 2003).

Auf einigen Dimensionen ergaben sich zudem Effekte der Schulform, die die vermeintlichen Nationenunterschiede in ihrer Bedeutung überlagern. In Deutschland steigt die Selbstwirksamkeit mit dem Niveau der Schulform an, in der Schweiz sinkt sie dagegen ab. Diese Ergebnisse sind für die Erhellung der Unterrichtskultur in Deutschland von hoher Bedeutung. Der wesentliche Unterschied zur Schweiz scheint in den sozialen Ausgangsbedingungen des Unterrichts in den „unteren Schulformen“ zu liegen: Nicht nur die Schüler, sondern auch die Lehrkräfte dieser Schulen scheinen in Deutschland durch einen Mangel an sozialen Ressourcen behindert.

Kooperationspartner:

Prof. Dr. K. Reusser
Dr. C. Pauli
Dr. A. Buff
Lic. phil M. Leuchter
Lic phil. I. Hugener
Dipl. math. ETH. B. Vetter